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Herodot

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herodot

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Casus Belli

Griechen - Perser

Entführungen der Io, Europa, Medea, Helena

Erstes Buch, Kapitel 1/5

Dies ist die Darlegung der Erkundung des Herodot aus Halikarnaß, auf daß, was von Menschen geschehen, nicht mit der Zeit verblasse, noch Taten, groß und des Staunens wert, vorgewiesen von Hellenen wie von Barbaren, ihres Ruhmes verlustig gehen, manches andere und so auch, warum sie Krieg geführt miteinander.
Wie nun bei den Persern die Kundigen zu erzählen wissen, sind an der Zwietracht schuld die Phönizier. Als die nämlich von dem Meer, das man das Rote nennt, zu diesem. Meer hergekommen seien und sich niedergelassen hätten an dem Platz, den sie noch jetzt bewohnen, hätten sie sich alsbald auf weite Seefahrten verlegt, und beladen mit ägyptischen und assyrischen Waren seien sie viel herumgekommen und so auch nach Argos. Dies Argos aber war zu jener Zeit groß vor allen in dem Land, das jetzt Hellas heißt. Wie da nun diese Phönizier zum besagten Argos kamen, stellten sie ihre Waren zur Schau. Am fünften Tag nun oder sechsten nach ihrer Ankunft, als fast alles schon verkauft war, kamen viele Frauen ans Meer und darunter denn auch des Königs Tochter. Deren Name sei gewesen - und da stimmen sie mit den Hellenen überein - Io, Tochter des Inachos. Die traten an das Heck des Schiffes und kauften von den Waren, wonach sie am meisten gelüstete; und die Phönizier machten einander Mut und stürzten sich auf sie. Die meisten Frauen entflohen freilich, Io aber mit einigen andern ergriffen sie, warfen sie ins Schiff und fuhren davon nach Ägypten. So sei Io nach Ägypten gekommen, erzählen die Perser, anders als die Hellenen, und das wäre der Gewalttaten Anfang und Beginn. Nach diesem Ereignis aber, behaupten sie, hätten von den Hellenen einige - einen Namen nämlich können sie nicht beibringen - Kurs auf Tyros in Phönizien genommen und des Königs Tochter geraubt, Europa. - Das mögen wohl Kreter gewesen sein.
Soweit also habe es bei ihnen gleich zu gleich gestanden, dann aber hätten die Hellenen sich schuldig gemacht mit einer zweiten Gewalttat. Auf einem Kriegsschiff seien sie nach Aia in Kolchis und zum Phasisstrom gefahren, und von dort hätten sie, als sie das sonstige, weswegen sie gekommen, erledigt hatten, des Königs Tochter entführt, Medea. Der Kolcherkönig habe einen Herold nach Hellas gesandt, Buße für den Raub gefordert und seine Tochter zurückverlangt. Doch die hätten zur Antwort gegeben, auch sie hätten ja im Fall der Argiverin Io keine Buße für den Raub gezahlt; drum würden sie auch ihnen keine zahlen. In der zweiten Generation danach, so stellen sie es dar, als Alexandras, Priamos' Sohn, das hörte, bekam er Lust, sich eine Frau aus Hellas durch Raub zu beschaffen, völlig überzeugt, daß er keine Buße zu zahlen brauche; hatten doch auch jene keine gezahlt. Als er in diesem Glauben nun Helena raubte, beschlossen die Hellenen zuerst, Unterhändler zu senden, um Helena zurückzufordern und Buße für den Raub zu verlangen. Jene aber hielten ihnen, als sie solche Forderungen vorbrachten, Medeas Raub vor: Sie hätten ja selber keine Buße gezahlt und sie auf ihr Verlangen nicht herausgegeben; nun aber wünschten sie, von andern Buße zu erhalten.
Bis dahin hätte es sich immerhin nur um Fälle gegenseitiger Entführung gehandelt, von nun ab aber hätten sich die Hellenen gewaltig ins Unrecht gesetzt; denn sie hätten den Anfang gemacht und seien gegen Asien in den Krieg gezogen, vor ihnen mit ihrem Zug gegen Europa. Ihre Meinung sei, Frauen entführen, das sei die Art von gewalttätigen Männern, deren Entführung aber mit allem Ernst zu rächen suchen, die von unvernünftigen; vielmehr, sind sie einmal entführt, sich überhaupt nicht darum zu scheren, das zeige Besonnenheit. Denn es sei doch klar: hätten die nicht selber gewollt, wären sie auch nicht entführt worden. Sie also, die Leute aus Asien, sagen die Perser, hätten nun kein Aufhebens gemacht wegen der entführten Frauen, die Hellenen aber hätten wegen der Frau aus Lakedaimon einen riesigen Heerbann versammelt, und dann wären sie nach Asien gezogen und hätten Priamos' Macht zerstört. Seit der Zeit hätten sie stets für ihren Feind gehalten, was hellenisch ist. Asien nämlich und die darin wohnenden Völker eignen sich die Perser zu, Europa aber und die hellenische Welt ist nach ihrer Auffassung davon abgesondert.
So sagen die Perser, und so sei es gekommen, und sie finden heraus, die Einnahme von Ilion sei es, womit ihre Feindschaft gegen die Hellenen begann. Was aber die Io betrifft, so stimmen nicht überein mit den Persern die Phönizier. Sie hätten sie nämlich, sagen die, gar nicht geraubt, damals, als sie sie nach Ägypten brachten, vielmehr habe sie sich in Argos mit dem Kapitän des Schiffes eingelassen; und als sie dann merkte, daß sie schwanger war, sei sie aus Furcht vor den Eltern freiwillig mit den Phöniziern mitgefahren, damit es nicht herauskomme.
Das also bringen sie vor, die Perser dies und die Phönizier das. Ich aber will mich bei diesen Dingen nicht hinstellen und sagen, das ist so oder vielleicht so gekommen; doch den Mann, von dem ich selber weiß, daß er den Anfang gemacht hat mit Unrecht und Gewalt gegen die Hellenen, auf den will ich zeigen und dann weiterschreiten in der Erzählung und dabei der Menschen Stätten besuchen, kleine und große, beide. Denn die vor Zeiten groß waren, von denen sind die meisten klein geworden; und die groß sind zu meiner Zeit, waren früher klein. Und da ich nun weiß, daß der Menschen Glück nie stille steht, werde ich beider gedenken in gleicher Weise.