Herodot
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Herodot
Ilias Helana
Zweites Buch,
Kapitel 113/120
Und die Priester erzählten mir, als ich nachforschte in Sachen Helena, das habe sich folgendermaßen zugetragen. Als Alexandras Helena aus Sparta entführte, fuhr er davon in seine Heimat. Und als er in der Ägäis war, verschlagen ihn widrige Winde in das ägyptische Meer, und von dem kommt er, denn der Sturm läßt nicht nach, nach Ägypten und in die Nilmündung, die heutigentags die Kanobische genannt wird, und nach Taricheiai (Pökeleien). Nun stand da am Ufer, wie auch heute noch, ein Heraklestempel, und wenn ein Knecht -er mochte angehören, wem er wollte - zu dem seine Zuflucht nahm und das heilige Siegel aufgedrückt bekam, womit er sich dem Gott übergab, den durfte niemand anrühren. Und dieser Brauch hat überdauert und ist noch bis zu meiner Zeit der gleiche wie im Anbeginn. Einige Diener des Alexandras entliefen nun also, als sie von diesem im Heiligtum geltenden Brauch erfuhren, setzten sich als Schutzbefohlene des Gottes nieder und verklagten Alexandros, denn sie wollten ihm gerne etwas anhaben, und erzählten die ganze Geschichte, wie es stand mit Helena und dem Unrecht gegen Menelaos. Diese Anschuldigungen brachten sie bei den Priestern vor und auch bei dem Aufseher über diese Mündung, der den Namen
Thonis hatte. Als dieser Thonis das erfährt, schickt er sofort nach Memphis zu Proteus einen Bericht, der besagt: «Es ist ein Fremder angekommen, ein Teukrer von Geburt, und der hat eine schändliche Tat in Hellas getan; denn er hat die Frau seines Gastfreundes verführt und sie mit sich genommen und sehr viele Schätze dazu, und damit ist er nun hier, von Stürmen an dein Land verschlagen. Sollen wir diesen Mann nun ungeschoren wegfahren lassen, oder sollen wir ihm abnehmen, was er bei sich hat?» Darauf sendet Proteus zurück und spricht: «Euern Mann da, sei er, wer er sei, der seinem Wirt Schändliches angetan hat, nehmt fest und bringt ihn zu mir, damit ich sehe, was er denn wohl dazu zu sagen hat.» Als
Thonis das hörte, nimmt er erst mal Alexandras fest und hält seine Schiffe zurück, und dann führte er ihn nach Memphis, ihn selber und die Helena sowie die Schätze, dazu auch die Schutzsuchenden. Als nun alles an Ort und Stelle war, fragte unser Proteus den Alexandras, wer er sei und woher er komme. Der zählte ihm seine ganzen Vorfahren her und nannte ihm den Namen seines Vaterlandes und berichtete ihm dann auch von seiner Fahrt, woher er kam. Darauf fragte ihn der Proteus, wo er denn die Helena her habe. Als der Alexandras nun hin und her redete und nicht mit der Wahrheit heraus wollte, da überführten ihn jene Schutzsuchenden und erzählten die ganze Geschichte von dem Vergehen. Am Ende ließ sich Proteus wie folgt vernehmen und sprach: «Ich, hätte ich nicht meine Ehre daran gesetzt, nie einen Fremden zu töten, der von Stürmen verschlagen in mein Land kam, ich würde dich schon büßen lassen in Vertretung des Hellenen, Mensch, du nichtswürdigster, der du gastfreundlich aufgenommen eine so ruchlose Tat getan hast. Zu des Gastfreundes, deines Wirtes Frau bist du gegangen. Und das hat dir noch nicht gereicht, sondern aufgescheucht hast du sie, sie gestohlen und dich mit ihr davongemacht. Und das hat dir immer noch nicht gereicht, sondern du hast das Haus deines Gastfreundes geplündert, und so kommst du nun her. Nun gut, da ich nun einmal meine Ehre daransetze, keinen Fremden zu töten, diese Frau hier und die Schätze werde ich dich nicht wegschaffen lassen, sondern ich persönlich werde sie für deinen hellenischen Gastfreund aufbewahren, bis zu dem Tag, wo jener selber kommt, wenn er wünscht, sie mitzunehmen. Dir aber und deinen Mitfahrern gebe ich hiermit den Befehl, binnen dreier Tage mein Land zu verlassen und euch sonstwo einen Hafen zu suchen; wo nicht, werde ich euch als Feinde behandeln.»
So sei Helena zu Proteus gekommen, erzählten die Priester. Auch Homer, scheint mir, hat von dieser Geschichte gehört. Doch ließ er sie, denn sie paßte nicht so gut zur Dichtung seines Epos wie die andere, die er benutzt hat, er ließ sie also auf sich beruhen, gab aber zu erkennen, daß er auch von dieser Geschichte wußte. Das wird an dem deutlich, was er in der «Ilias» an einer Stelle so nebenbei angeführt hat - und er hat nicht irgendwo anders von dieser Version deutlich Abstand genommen - über die Irrfahrt des Alexandras: Er sei verschlagen worden mit Helena und sei weit umhergeirrt und so auch nach Sidon in Phönizien gekommen. Das erwähnt er in dem Gesang von Diomedes' Heldentaten, und so lauten die Hexameter: Wo sie die festlichen Kleider bewahrt, von Frauen in Sidon
farbfroh bestickt, die einst Alexandros selber, der Schöne, fernher aus Sidon gebracht, als er fuhr über Weiten des Meeres,
als er die Helena brachte, die Tochter herrlicher Ahnen. In diesen Versen wird deutlich, daß er von Alexandras' Irrfahrt nach Ägypten wußte, denn Syrien grenzt an Ägypten, und die Phönizier, deren Stadt Sidon ist, wohnen in Syrien. Nach dem Ausweis dieser Verse ist aber auch Weiteres deutlich, nicht bloß so ungefähr, sondern ganz sicher, daß nämlich das Epos «Die Kyprien» nicht von Homer stammt, sondern von jemand anderem. Denn in den «Kyprien» ist gesagt, daß Alexandros bereits am dritten Tag von Sparta nach Ilion kam und Helena mitbrachte, denn er hatte günstigen Wind und das Meer war ruhig; in der «Ilias» aber heißt es, daß er, als er sie mit sich führte, verschlagen wurde. Nun, damit lebt wohl, Homer und «Kyprien».
Ich aber fragte die Priester, ob es denn nun bloßes Gerede sei, was die Hellenen von den Geschehnissen um Ilion erzählen, oder nicht, und da sagten sie dazu das Folgende und behaupteten, sie wüßten das, weil man sich bei Menelaos selber danach erkundigt habe. Also nach der Entführung der Helena sei ein großes Hellenenheer nach dem Teukrerland gefahren, Menelaos zu helfen, und als es an Land gegangen und ein festes Lager aufgeschlagen war, habe man Gesandte nach Ilion geschickt, und Menelaos sei selber mit denen gegangen. Als die nun in die Burg kamen, forderten sie Helena zurück und auch die Schätze, mit denen Alexandros sich heimlich davongemacht, und dann forderten sie Genugtuung für die Vergehen. Die Teukrer aber sagten, gleich damals wie auch später, mit Eid und ohne, sie hätten die Helena nicht und auch nicht die berufenen Schätze, sondern das sei alles in Ägypten, und es sei doch nicht gerecht, daß sie Genugtuung leisten sollten für Dinge, die Proteus, der Ägypterkönig, habe. Die Hellenen aber glaubten, sie würden von denen zum Narren gehalten, und so machten sie sich denn ans Belagern, und schließlich wurden sie Herr über die Stadt. Die Mauern nahmen sie, aber keine Helena war zu sehen, vielmehr bekamen sie dasselbe zu hören wie vorher, und da glauben die Hellenen endlich, was man gleich anfangs gesagt hatte, und senden Menelaos selber zu Proteus. Als nun Menelaos nach Ägypten kam und nach Memphis hinauffuhr und alles, was vor sich gegangen war, berichtete, erhielt er große Gastgeschenke und bekam Helena zurück, die nichts auszustehen gehabt hatte, dazu auch all seine Schätze. Obwohl man jedoch Menelaos so behandelte, setzte er sich schwer ins Unrecht gegenüber den Ägyptern. Als es ihn nämlich abzufahren drängte, hielten Gegenwinde ihn zurück, und als das lange so blieb, dachte er sich etwas aus, das war gar nicht recht. Er griff sich nämlich zwei Knaben, Kinder von Einheimischen, und brachte sie dar als Blutopfer. Danach aber, als diese seine Tat ruchbar wurde, war man wütend auf ihn und suchte ihn zu fassen, er aber fuhr mit den Schiffen eilends davon nach Libyen. Wohin er sich von dort aus weiter gewandt hat, konnten die Ägypter nicht sagen. Von dem Angeführten aber wüßten sie das erste aus Nachfragen, behaupteten sie, das Weitere aber, das sich bei ihnen abgespielt hatte, das könnten sie allerdings aus genauester Kenntnis berichten.
Das war's, was die ägyptischen Priester erzählten, und ich meinerseits trete der Geschichte, die sie von Helena erzählen, bei, und das ist meine Überlegung: Wäre Helena in Ilion gewesen, wäre sie doch wohl den Hellenen wiedergegeben worden, ob Alexandras nun wollte oder nicht. Priamos nämlich war sicherlich nicht so von allen guten Geistern verlassen, und die andern, seine Angehörigen, auch nicht, daß sie den Wunsch hatten, ihre Person und ihre Kinder und die Stadt aufs Spiel zu setzen, bloß damit Alexandras mit Helena schlafen könne. Und mögen sie auch anfangs eine Weile so gedacht haben; nachdem aber viele andere Troer, sooft sie mit den Hellenen sich maßen, gefallen und von Priamos selber gewiß zwei oder drei Söhne oder auch noch mehr, als es zum Kampf kam, gestorben waren - wenn man denn nach dem reden darf, was die Ependichter erzählen - nachdem die Sache so stand, erwarte ich jedenfalls, daß Priamos, und hätte er selber bei Helena geschlafen, sie den Achaiern zurückgab, jedenfalls wenn ihm etwas daran lag, loszukommen vom Unheil ringsum. Und dann ging die Königsherrschaft auch nicht auf Alexandras über, so daß die Geschäfte, da Priamos schon so alt war, in seinen Händen lagen, sondern Hektor war älter und auch mehr Mann als jener, und er sollte die Königsherrschaft übernehmen, wenn Priamos starb, und dem hätte es schlecht angestanden, das Unrecht seines Bruders zu decken, zumal ihm dessentwegen großes Unglück widerfuhr, ihm selber und all den andern Troern. Nein, sie hatten ja gar keine Helena auszuliefern, und die Hellenen glaubten ihnen bloß nicht, obwohl sie die Wahrheit sprachen, und das geschah, wenn ich meine Meinung dazu sagen soll, weil die Gottheit es so lenkte, auf daß die Troer mit ihrem vollständigen Untergang das allen Menschen deutlich machten, daß für großes Unrechttun groß ist auch die Strafe der Götter. Und was ich zu dieser Geschichte zu sagen habe, ist hiermit gesagt.
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