Index.htm  Flavius Josephus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Der Jüdische Krieg

Zweites Buch, achtes Kapitel

2. Es  gibt nämlich bei den Juden drei Arten von philosophischen Schulen; die eine bilden die Pharisäer, die andere die Sadducäer, die dritte, welche nach besonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener. Die letzteren sind ebenfalls geborene Juden, aber untereinander noch mehr als die anderen durch Liebe verbunden. Die sinnlichen Freuden meiden sie wie die Sünde, und die Tugend erblicken sie in Enthaltsamkeit und Beherrschung der Leidenschaften. Über die Ehe denken sie gering, dagegen nehmen sie fremde Kinder auf, solange dieselben noch in zartem Alter stehen und bildungsfähig sind, halten sie wie ihre Angehörigen und prägen ihnen ihre Sitten ein. Doch wollen sie damit die Ehe und die Erzielung von Nachkommenschaft durch dieselbe nicht gänzlich aufheben, sondern sich nur vor den Ausschweifungen der Weiber sichern, da sie glauben, dass keines derselben dem einen Gatten die Treue bewahre.

3. Den Reichtum verachten sie, und bewundernswert ist bei ihnen die Gemeinschaft der Güter, sodass man niemand unter ihnen findet, der mehr besässe als die anderen. Es besteht nämlich die Vorschrift, dass jeder, der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Gesamtheit abtreten muss, und so bemerkt man durchgehends weder niedrige Armut noch übermässigen Reichtum, sondern alle verfügen wie Brüder über das aus dem Besitztum der einzelnen Ordensmitglieder gebildete Gesamt-vermögen. Oel halten sie für Schmutz, und wenn einer wider seinen Willen gesalbt worden ist, so wischt er seinen Körper ab. Denn eine rauhe Haut zu haben, gilt ihnen für ebenso ehrenvoll, als beständig in weissen Gewändern einherzugehen. Die Verwalter des gemeinsamen Vermögens werden durch Stimmenmehrheit gewählt, und jeder ohne Unterschied muss sich zu Dienstleistungen für die Gesamtheit bereit finden lassen.

4. Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder wohnen ihrer viele. Ordensangehörigen, die anderswoher kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung, und bei Leuten, die sie nie zuvor gesehen, treten sie ein, als wären es vertraute Freunde von ihnen. Deshalb nehmen sie auch auf die Reise durchweg nichts anderes mit als Waffen zum Schütze gegen die Räuber. In jeder Stadt ist ein Beamter eigens für die Fremden angestellt, um sie mit Kleidung und allen anderen Bedürfnissen zu versehen. In ihrem Anzug und ihrer ganzen äusseren Erscheinung machen sie den Eindruck von Knaben, welche noch unter der Zuchtrute ihrer Lehrmeister stehen. Kleider und Schuhe wechseln sie nicht eher, als bis sie gänzlich zerfetzt oder durch langen Gebrauch verschlissen sind. Untereinander kaufen und verkaufen sie nichts, sondern ein jeder  gibt von seinem Eigentum dem anderen, was dieser nötig hat, und empfängt umgekehrt von ihm das, was er selbst brauchen kann. Ja, sogar ohne alle Gegenleistung kann jeder von einem beliebigen Ordensgenossen das Nötige beanspruchen.

5. Auf eine eigentümliche Art verehren sie die Gottheit. Bevor nämlich die Sonne aufgeht, sprechen sie kein unheiliges Wort, sondern sie richten an das Gestirn gewisse altherkömmliche Gebete, als wollten sie seinen Aufgang erflehen. Hierauf werden sie von den Vorstehern zu dem Tagewerk entlassen, auf das ein jeder von ihnen sich versteht. Wenn sie sodann bis zur fünften Stunde fleissig gearbeitet haben, kommen sie wieder an einem bestimmten Ort zusammen, schürzen ein linnenes Tuch um und waschen sich den Leib in kaltem Wasser. Nach dieser Reinigung begeben sie sich in ein besonderes Gebäude, das kein Angehöriger einer anderen Sekte betreten darf, und versammeln sich hier, gereinigt, als ginge es in ein Heiligtum, im Speisesaal. Dort setzen sie sich in aller Ruhe nieder, und es legt alsdann der Bäcker ihnen der Reihe nach Brote vor während der Koch jedem eine Schüssel mit einem einzigen Gericht aufträgt. Ehe das Mahl beginnt, spricht der Priester ein Gebet, und vor dem Gebet darf niemand etwas verzehren. Nach dem Mahle betet er wiederum, sodass zu Anfang und zu Ende desselben Gott als der Spender der Nahrung geehrt wird. Nachdem sie sodann ihre gleichsam heiligen Kleider abgelegt, begeben sie sich wieder an ihre Arbeit bis zur Abenddämmerung. Hierauf kehren sie zurück und speisen auf dieselbe Weise; sind zufällig Fremde da, so nehmen diese am Mahle teil. Weder Geschrei noch sonstiger Lärm entweiht je das Haus, sondern ein jeder lässt den anderen reden, wie ihn die Reihe trifft. Auf diejenigen, die ausserhalb des Hauses sich befinden, macht die in demselben herrschende Stille den Eindruck eines schauerlichen Geheimnisses; doch hat die Ruhe ihren Grund nur in der beständigen Nüchternheit der Ordensmitglieder, die Speise und Trank nicht weiter als bis zur Sättigung gemessen.

6. Nichts thun die Essener ohne ausdrücklichen Befehl ihrer Vorsteher, und nur in zwei Dingen besitzen sie völlige Freiheit, in Hilfeleistung nämlich und in Ausübung der Barmherzigkeit. So ist es jedem verstattet, Unterstützungsbedürftigen beizuspringen, wenn sie dessen würdig sind, und den Darbenden Nahrung zu reichen. An Verwandte jedoch darf ohne Erlaubnis der Vorsteher nichts verschenkt werden. Zorn äussern die Essener nur, wo er berechtigt ist; Gemütserregungen wissen sie zu bemeistern; Treu und Glauben halten sie hoch; den Frieden pflegen sie angelegentlich. Das gegebene Wort gilt bei ihnen mehr wie der Eid; ja, sie unterlassen das Schwören, weil sie es für schlimmer als den Meineid halten. Wer ohne Anrufung der Gottheit keinen Glauben finde, der sei, sagen sie, schon im voraus gerichtet. Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium von Schriften der Alten, besonders um zu ergründen, was für Leib und Seele heilsam ist. Aus diesen Schriften suchen sie Wurzeln zur Bannung von Krankheiten und die Eigenschaften der Steine kennen zu lernen.

7. Wer in die Sekte aufgenommen sein will, erhält nicht sogleich Zutritt, sondern er muss zunächst ausserhalb des Ordens ein Jahr lang derselben Lebensweise wie die Mitglieder sich unterziehen, nachdem man ihm vorher eine kleine Axt, das oben erwähnte Lendentuch und ein weisses Gewand gegeben hat. Hat er in diesem Zeitraum die Mässigkeitgprobe bestanden, so tritt er der Genossenschaft um einen Schritt näher: er nimmt an der reinigenden Wasserweihe teil, wird jedoch zu den gemeinsamen Mahlen noch nicht zugelassen. Nachdem er nämlich seine Standhaftigkeit dargetan hat, wird nun in zwei weiteren Jahren auch sein Charakter geprüft, und erst wenn er in dieser Beziehung gleichfalls würdig erscheint, wird er förmlich in den Orden aufgenommen. Bevor er indes bei dem gemeinsamen Mahl erscheinen darf, muss er den Ordensangehörigen einen furchtbaren Eid schwören, dass er die Gottheit ehren, seine Pflichten gegen die Menschen erfüllen, niemand aus eigenem Antrieb oder auf Befehl Schaden zufügen, stets die Ungerechten hassen und den Gerechten beistehen , sowie dass er Treue gegen jedermann und besonders gegen die Obrigkeit üben wolle, weil niemand Gewalt habe, ohne dass sie ihm von Gott verliehen sei Ferner muss er schwören, falls er selbst einmal zu befehlen habe, nie ob seiner Macht sich brüsten und weder in Kleidung noch in sonstigem Schmuck es seinen Untergebenen zuvortun zu wollen. Des weiteren verpflichtet er sich, stets die Wahrheit zu lieben und die Lüge zu Schanden zu machen, seine Hände von Diebstahl und seine Seele von dem Makel unrechten Gewinnes rein zu halten, den Ordensbrüdern nichts zu verheimlichen, anderen dagegen keines ihrer Geheimnisse zu offenbaren, und sollte man ihn auch bis zum Tode martern; endlich, die Lehrsätze des Ordens niemand auf anderem Wege mitzuteilen, als er sie selbst kennen gelernt, den Strassenraub zu verabscheuen, die Bücher der Sekte und die Namen der Engel geheim zu halten. Durch solche Eidschwüre versichern sich die Essener der neu Aufzunehmenden.

8. Wer schwerer Sünden überwiesen wird. den schliessen sie aus dem Orden aus, und der also Ausgestossene kommt oft auf die elendeste Weise um. Durch Eidschwüre und Ordensgebräuche gebunden, darf er nämlich von Nichtmitgliedern keine Nahrung annehmen und muss sich deshalb von Kräutern nähren, wodurch sein Körper abzehrt und endlich dem Hunger erliegt. Sie haben daher schon manchen dieser Unglücklichen, der in den letzten Zügen lag, aus Mitleid wieder aufgenommen, indem sie die Qual, die ihn dem Tode nahe brachte, als hinreichende Sühne für seine Sünden ansahen.

9. Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei gerichtlichen Entscheidungen. Recht sprechen sie nur dann, wenn mindestens hundert Mitglieder versammelt sind, und das Urteil dieses Gerichtes ist unabänderlich. Nächst Gott zollen sie die grösste Verehrung dem Namen des Gesetzgebers1; wer ihn lästert, wird mit dem Tode bestraft. Dem Alter und der Mehrheit Gehorsam zu erweisen, halten sie für ehrenvoll. Wenn daher zehn von ihnen beisammen sitzen, redet wohl keiner gegen den Sinn der neun übrigen. Ferner hüten sie sich, vor anderen oder nach der rechten Seite hin auszuspeien. Peinlicher als alle übrigen Juden vermeiden sie es, am Sabbat sich mit Arbeit zu befassen, und demzufolge bereiten sie sich nicht nur die Speisen tags vorher, um am Sabbat kein Feuer anzünden zu müssen, sondern sie wagen am Ruhetage nicht einmal ein Gefäss von der Stelle zu rücken oder ihre Notdurft zu verrichten. An anderen Tagen aber höhlen sie mit der einer Hacke ähnlichen kleinen Axt, die jedem neu Eintretenden verabfolgt wird, eine Grube von der Tiefe eines Fusses aus, verhüllen dieselbe mit ihrem Mantel, um den Lichtglanz Gottes nicht zu beleidigen, entleeren sich darein und scharren dann mit der ausgegrabenen Erde das Loch wieder zu; auch suchen sie zu dieser Verrichtung die abgelegensten Plätze aus. Und obwohl die Entleerung der Körperexcremente etwas Natürliches ist, ist es doch bei ihnen gebräuchlich, sich nachher zu waschen, als ob sie sich verunreinigt hätten.

10. Nach der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Orden sind sie in vier Klassen geteilt, und zwar stehen die jüngeren Mitglieder den älteren so sehr nach, dass die letzteren, wenn sie von jenen berührt worden sind, sich waschen, wie wenn ein Ausländer sie verunreinigt hätte. Sie leben sehr lange, und viele von ihnen werden wie mir scheint, infolge der Einfachheit ihrer Lebensweise und der bei ihnen herrschenden Ordnung über hundert Jahre alt. Dabei lässt das schrecklichste Ungemach sie kalt; denn Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke, und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten Leben vor. Diese ihre Gesinnung trat so recht im Kriege gegen die Römer zutage. Auf die Folter wurden sie gespannt, ihre Glieder gereckt, verbrannt, zerbrochen ; mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum Genuss einer ihnen verbotenen Speise zu zwingen aber weder das eine noch das andere vermochte man durchzusetzen. Kein bittendes Wort an ihre Peiniger kam über ihre Lippen, und ihre Augen blieben tränenleer. Lächelnd unter Schmerzen spotteten sie ihrer Henker, und freudig gaben sie ihre Seelen dahin in der sicheren Hoffnung, sie einst wieder zu erhalten.

11. Sie hegen nämlich den festen Glauben, dass der Körper zwar der Verwesung anheimfalle und vergänglich sei, die Seele dagegen in Ewigkeit fortlebe und dass sie, aus dem feinsten Äther stammend, durch einen natürlichen Zauberreiz herabgezogen und in den Körper gleich wie in ein Gefängnis eingeschlossen werde. So bald die Seele aber von den Banden des Fleisches befreit sei, entschwebe sie, wie aus langer Knechtschaft erlöst, in seliger Wonne zur Höhe. In Übereinstimmung mit den jüngeren Hellenen lehren sie, den Guten sei ein Leben jenseits des Ocean beschieden und ein Ort, den weder Regen noch Schnee noch Hitze belästige, sondern ein beständiger, vom Ocean her sanft wehender Zephyr kühle ; den Bösen dagegen weisen sie eine finstere kalte Höhle voll ewiger Qualen an. Derselbe Gedanke findet sich, wie mir scheint, bei den Hellenen, indem sie ihren Helden, die sie Heroen und Halbgötter nennen, die Inseln der Seligen zuweisen, den Seelen der Schlechten aber den Ort der Frevler im Hades, wo der Sage nach ein Sisyphos, Tantalos, Ixion und Tityos ihre Strafen erleiden. Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit der Seele feststellen, dann aber auch zur Tugend an treiben und vom Laster abschrecken, indem sie daraufrechnen, dass die Guten während ihres irdischen Lebens durch die Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode noch besser, die Anschläge der Bösen dagegen durch Furcht zunichte werden, da die letzteren sich darauf gefasst machen müssen, selbst wenn bei Lebzeiten ihre Schlechtigkeit verborgen bleiben sollte, doch noch im Jenseits ewiger Strafe zu verfallen. Diese Lehre der Essener über die Seele ist das Zauberband, durch welches sie diejenigen, die einmal ihre Weisheit gekostet haben, dauernd an sich fesseln.

12. Es finden sich übrigens auch solche unter ihnen, die, nachdem sie sich von Jugend auf mit den heiligen Büchern, den Sprüchen der Propheten und mancherlei Reinigungen vertraut gemacht haben, die Zukunft vorherzuwissen behaupten. Und in der Tat ist es ein seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in Erfüllung gehen.

13. Ausserdem  gibt es nun noch einen zweiten Zweig der Essener, der in Lebensart, Sitten und Gebräuchen mit dem anderen ganz übereinstimmt, in der Ansicht über die Ehe dagegen von ihm abweicht. Sie glauben nämlich, dass die, welche nicht in die Ehe träten, den wichtigsten Lebenszweck, die Erzielung von Nachkommenschaft, ausser acht lassen, oder vielmehr, dass, wenn alle so dächten, das ganze Menschengeschlecht in kürzester Zeit aussterben müsse. Doch erproben sie die Bräute drei Jahre lang, und wenn sie nach dreimaliger Reinigung deren Fähigkeit, Kinder zu gebären, erkannt haben, nehmen sie dieselben zur Ehe. Während der Schwangerschaft enthalten sie sich des Beischlafes zum Beweise, dass sie nicht aus Wollust, sondern um Kinder zu erzielen geheiratet haben. Die Weiber baden im Hemd, die Männer in einer Schürze. Soviel von den Gebräuchen dieser Sekte.

14. Was nun die beiden zuerst genannten Sekten betrifft, so ist die der Pharisäer die älteste unter allen dreien. Sie gelten für besonders kundige Erklärer des Gesetzes, machen alles von Gott und dem Schicksal abhängig und lehren, dass Recht- und Unrechtthun zwar grösstenteils den Menschen freistehe, dass aber bei jeder Handlung auch eine Mitwirkung des Schicksals statt finde. Die Seelen sind nach ihrer Ansicht alle unsterblich, aber nur die der Guten gehen nach dem Tode in einen anderen Leib über, während die der Bösen ewiger Strafe anheimfallen. Die Sadducäer hingegen, die zweite der obengenannten Sekten, leugnen das Schicksal völlig und behaupten, Gott habe mit dem Thun und Lassen der Menschen gar nichts zu schaffen; vielmehr seien gute wie böse Handlungen gänzlich dem freien Willen anheimgestellt, und nach eigenem Gutdünken trete ein jeder auf die eine oder andere Seite. Weiterhin leugnen sie auch die Fortdauer der Seele, sowie die Strafen und  Belohnungen in der Unterwelt. Während aber die Pharisäer sich eng aneinander anschliessen und zum Wohle der Gesamtheit die Eintracht hochhalten, ist das Benehmen der Sadducäer gegen ihresgleichen weit unfreundlicher, sodass sie mit ihren Gesinnungsgenossen so abstossend wie mit Fremden verkehren. Das ist es, was ich über die philosophischen Schulen der Juden bemerken wollte.